Die Deutsche Bundesbank ist wirklich arm dran. Weil sie an der EZB beteiligt ist und die EZB „Bilanz-Verluste“ macht, hat sich auch die wirtschaftliche Lage der Bundesbank erheblich „verschlechtert“. Das stellt jedenfalls der Präsident der Bundesbank, Joachim Nagel, fest:
„Die Bundesbank hat als größte Zentralbank im Eurosystem die höchsten Belastungen zu tragen. Wir werden möglicherweise im laufenden Jahr auf einer ähnlichen Größenordnung wie 2023 liegen. Weil wir unsere Risikovorsorge weitestgehend verbraucht haben, werden wir mit Verlustvorträgen für die kommenden Jahre arbeiten müssen. Aber, was für mich wichtig ist: Die Gewinne der Bundesbank werden in der Zukunft wieder zurückkommen. Die Bilanz der Bundesbank ist solide. Denn wir haben große Bewertungsreserven. Deshalb muss sich niemand Sorgen machen – die Bundesbank benötigt kein zusätzliches Kapital.“
Die Bilanz der Bundesbank sei solide, sagt ihr Präsident, obwohl sie Verluste mache. Sie benötige kein zusätzliches Kapital. Das beruhigt uns, denn das Kapital für die Notenbank müsste wohl vom Steuerzahler kommen, wenn die Bank ernstlich in Schwierigkeiten geriete. Wie aber kann eine Notenbank wie die EZB oder eine ihrer regionalen Vertretungen wie die Bundesbank überhaupt in Schwierigkeiten geraten? Ist es für eine Notenbank nicht schon ein Skandal, dass sie darauf hinweisen muss, dass sie solide ist?
Das Problem lässt sich ganz leicht lokalisieren. Weil die EZB viele Papiere in der Bilanz stehen hat, deren Kurse in den letzten Jahren gesunken sind, ist der Wert der Papiere heute viel geringer als zum Zeitpunkt des Kaufs dieser Papiere durch die EZB. Die Ursache dafür ist die EZB allerdings selbst. Weil sie die Zinsen erhöht hat, sind die Kurse all der (festverzinslichen) Papiere gefallen, die in den Zeiten weit geringerer Zinsen ausgegeben worden sind. Das klingt wirklich schlimm, aber die Gewinne der Bundesbank werden ja wiederkommen, verspricht der Präsident.
Denkt man einen Moment über die vermeintlichen Sorgen unserer Notenbanker nach, muss man sich allerdings vor Lachen schütteln. Dass überhaupt jemand das Wort „Verlust“ im Zusammenhang mit der Notenbank in den Mund nimmt, ist schon ein Witz. Macht der Goldesel Verluste, wenn der Preis des Goldes einmal sinkt?
Man kann die Handlungsmöglichkeiten und die Bilanz einer Notenbank nicht angemessen analysieren und verstehen, wenn man sie wie ein normales Wirtschaftsobjekt betrachtet. Will man zu einer rationalen Debatte der Handlungsmöglichkeiten kommen, muss man die Mikroebene verlassen und die Zentralbank als das betrachten, was sie ohne Zweifel ist, nämlich ein Wirtschaftssubjekt sui generis, also ein Wirtschaftssubjekt, das mit keinem anderem zu vergleichen ist. Deswegen verbietet sich jede Analogie zur Privatwirtschaft von vorneherein. Es wäre gut, wenn die Spitze der Zentralbank nicht über Sorgen redete, die keine vernünftige Basis haben.
Die Bilanz einer Notenbank
Notenbanken haben eine ganz eigentümliche Bilanz. Bei ihnen steht auf der Passivseite (also der Seite, wo bei einem Unternehmen oder einer Bank die normalen Verbindlichkeiten, die Schulden, stehen) das, was sie selbst herstellen, nämlich das Geld. Bei einem Unternehmen ist es sinnvoll, die Verbindlichkeiten auf die Passivseite zu schreiben, weil das Unternehmen die Verbindlichkeiten mit dem bedienen muss, was es real produziert und schließlich gegen Geldzahlung auf einem Markt verkaufen kann. Wer mit seiner Arbeit und seiner Produktion kein Geld verdient, kann seine Schulden nicht mehr bedienen und geht bankrott.
Bei der Zentralbank ist das Geld nur deswegen eine Verbindlichkeit, weil man aus formalen (oder ideologischen) Gründen eine Analogie zu einer normalen Geschäftsbilanz herstellen wollte. Doch das ist durch nichts gerechtfertigt. Geld ist zwar gemäß den üblichen Bilanzregeln eine Verbindlichkeit der Zentralbank, aber die Bilanzregeln sind unsinnig. Die Notenbank bedient ihre „Verbindlichkeiten“ zwar mit dem Medium, mit man Verbindlichkeiten üblicherweise bedient, nämlich mit Geld. Das Geld stellt sie jedoch praktisch ohne Kosten (per Knopfdruck heutzutage) her. Keine Bank oder kein normales Unternehmen aber kann das Medium herstellen, mit dem es seine eigenen Verbindlichkeiten bedienen kann. Genau deswegen verbietet sich die Analogie mit der normalen Wirtschaft und die Anwendung der normalen Bilanzregeln.
Notenbanken sind folglich tatsächlich so etwas wie der berühmte Goldesel aus Grimms Märchen vom „Tischlein deck dich“. Auf der Aktivseite der Notenbankbilanz stehen die Papiere, die sie für die Ausgabe von Geld erwirbt, also im Falle der EZB vor allem zinstragende Papiere (wie Staatsanleihen andere Staaten), die sie gegen das von ihr geschaffene Geld gekauft hat, um auch die langfristigen Zinsen niedrig zu halten. Notenbanken können auch Papiergeld einer anderen Währung aufkaufen, um die anderen Währungen durch vermehrte Nachfrage zu stärken und so die eigene Währung zu schwächen, also vor einer Aufwertung zu schützen. Das hat z. B. die Schweizer Nationalbank in den vergangenen Jahren gemacht und hat auf diese Weise ihre Bilanz enorm „verlängert“. Sie hat Geld geschaffen (Verlängerung der Passivseite) und damit Wertpapiere gekauft (Verlängerung der Aktivseite).
Nur, worauf beziehen sich die Verbindlichkeiten der Zentralbank, die auch zu einem Bilanzverlust führen können? Was hat der Kauf der Papiere auf der Aktivseite die Notenbank de facto gekostet, oder mit anderen Worten, wie viel Arbeit musste sie einsetzen, um diese Papiere kaufen zu können? Die Antwort ist einfach: Nichts hat es gekostet, nichts hat sie aufgewendet! Die Schweizer Nationalbank hat die 500 Milliarden Euro, die sie brauchte, um erst die Euros und dann die auf Euro lautenden Papiere zu kaufen, mit dem Geld bezahlt, das sie selbst ohne Kosten aus dem Nichts geschaffen hat. Herausgekommen ist ein unglaubliches Vermögen, für das niemand Blut, Schweiß oder Tränen hätte aufwenden müssen.
Gewinn, nicht Bilanzverlängerung
Die Bilanzrechnung der Zentralbanken ist deswegen absurd und irreführend, weil sie die Entstehung dieses gewaltigen Vermögens nicht als Gewinn verbucht, was es eindeutig ist, sondern als „Bilanzverlängerung“.
Wenn ich als Privatmann meine Bilanz verlängere, dann nehme ich einen Kredit auf und kaufe einen Wertgegenstand, sagen wir ein Haus. Dann bleibt mein Vermögensstand, wenn der unterstellte Wert des Hauses realistisch ist, unverändert, denn dem Haus, das ich auf der Aktivseite als Vermögen buche, steht ja die Verschuldung auf der Passivseite gegenüber. Sinkt der Wert des Hauses, mache ich einen Vermögensverlust, weil ich die Schulden ja voll begleichen muss. Will ich verhindern, dass ich wegen der Schieflage beim Vermögen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerate, muss ich mein wirtschaftliches Verhalten ändern. Ich muss meine Ausgaben einschränken oder meine Einnahmen erhöhen, um die entstandene Lücke für den Fall abdecken zu können, dass ich das Haus verkaufen muss, ohne den Kredit dadurch voll ablösen zu können.
Bei der Zentralbank steht aber auf der Passivseite das Geld, das sie selbst aus dem Nichts geschaffen hat. Das ist aber keine „Schuld“ in einem wirtschaftlichen Sinne, denn da ist nichts, was die Zentralbank an irgendjemanden zurückzahlen müsste. Sinkt also der Wert der Vermögensgegenstände auf der Aktivseite, macht die Zentralbank nur im Sinne einer sinnlosen Bilanzlogik einen Verlust, in Wirklichkeit aber macht sie nur einen geringeren Gewinn.
Der sinkende Gewinn wird sie niemals zwingen, ihre Verhaltensweise zu ändern. Immer noch ist sie ein Goldesel, auch wenn der Goldesel etwas länger braucht, um den gleichen Gewinn wie im Vorjahr zusammen zu bringen. Deshalb wäre selbst der Totalausfall der Papiere belanglos. Wenn ich etwas verliere, für das ich nichts bezahlt habe (also keine wirklichen realen Ressourcen eingesetzt habe), habe ich auch nichts verloren, was mich in meiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigen würde, wenn der Wert der Vermögensgegenstände verschwindet.
Eine Zentralbank kann daher in einem ökonomisch relevanten Sinn keinen Verlust machen. Folglich sollten die Notenbanken aufhören, dem Volk mit einer unsinnigen Bilanzierung vorzumachen, es könnte überhaupt einen Anlass geben, sich Sorgen zu machen oder es könnte gar die Notwendigkeit bestehen, neues Kapital von Seiten des Staates einzuschießen. Ceterum Censeo: Relevante Ökonomik ist notwendiger denn je.